Mein geschätzter Freund und Kollege
Christian Steiner wollte mir mit seinem solidarischen Weckruf betreffend Apples lieblose Podcast-Empfehlungen in der Sparte
TV und Film sicherlich nicht die Laune verderben. Eben diese Wirkung hatte sein gestriger Tweet aber auf mich.
Unter den von Apple-Mitarbeitern handverlesenen und mit
*Echte* Filmliebhaber titulierten Shows finden sich sowohl der noch junge Ableger eines
erfolgreichen YouTube-Kanals als auch etablierte Podcasts wie
Medien-KuH und
Celluleute wieder. So weit, so wenig überraschend. Ehre und Aufmerksamkeit, wem selbige gebührt. Immerhin stellen auch Streaming-Anbieter wie Netflix ihre neuen Serienproduktionen in die zweite Reihe, wenn die breite Masse nach der jüngsten Staffel des Dauerbrenners
House of Cards giert.
Warum also die schlechte Laune? Weil Apple durch seine ignorante Methodik, nach der die 15 unter dem mittelprächtig gelungenen Banner
Film Fanatics präsentierten Kino-Podcasts ausgewählt wurden, publizistische Formate jenseits der etablierten Medien weiter aktiv ins Nischendasein rückt. Schlimmer noch: Apple beschneidet hierdurch aktiv die Sichtbarkeit ergo Reichweite unabhängig produzierter (im Sinne von: nicht primär durch Werbung oder
Rundfunkbeiträge finanzierter) Podcasts. Und vielleicht am Schlimmsten: die Apple-Auswahl macht
Deutschlands Status als Podcast-Sitzenbleiber im internationalen Vergleich quasi offiziell. Für gutgläubige Nutzer, die sich gerne von iTunes ihrer iOS App bei der Auswahl neuer Podcasts beraten lassen wollen. Und für alle meinungsbildenden Beobachter, die den Erfolg und die Akzeptanz eines neuen medialen Formats an dessen Erfolg innerhalb der Cupertino Charts messen. All jenen, die jetzt murmeln, Apple sei sowieso total doof und dessen Status als globaler Trendsetter sowas von egal, sei hiermit gesagt: Schön und gut. Aber der journalistische Hammer '
according to Apple' ist und bleibt ein
big fucking deal!
Bevor ich mich der problematischen Auswahl der 15 'Film Fanatics' widme, muss ich kurz vor der eigenen Haustür kehren:
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Punktlandung: genau 50% unserer Hörer finden unseren Podcast über Apple Tools. Screenshot: Libsyn.com |
Ein big fucking deal sind die Machenschaften von Apple nämlich auch für alle Menschen, die wie Daniel und ich so etwas wie Online-Radio produzieren und geneigte Hörer erreichen wollen. An dieser Stelle sei ausdrücklich gesagt, dass wir und fast alle Podcaster auf diesem Planeten von Apples Produkten profitieren. Das Unternehmen bietet auf seinen Geräten vorinstallierte Tools zum Browsen, Streamen und Verwalten von Podcasts und anderer multimedialer Inhalte an. Immerhin jeder zweite Hörer unseres Podcasts findet
über iTunes oder die entsprechende iOS App zu uns. Eine Quote, die nicht ungewöhnlich hoch sein dürfte angesichts des
unaufhörlich steigenden Marktanteils mobiler Apple-Produkte. Selbst das Wort 'Podcast' ist eine
rhetorische Spielerei mit dem Artikelnamen eines wegweisenden Apple-Produkts. So viel also, für das ich dankbar sein sollte. Abhängig von der Apple-Hörerschaft sind wir als nicht-kommerzielles Audioprogramm sowieso. Die Entfernung unseres Podcasts aus Apple-Medien wäre vergleichbar mit der Entscheidung eines unabhängigen Onlinemediums, seine Inhalte für Google unauffindbar zu machen - moralisch-ethisch ehrenwert, aber publizistischer Selbstmord.
Aber wie schrieb einst der Mann mit den getönten Brillengläsern und dachte dabei vielleicht schon an die von Google und Apple geschaffene Brave New World:
With great power comes great responsibility.
Und jetzt einmal ein schönes Zitat von mir: Hör mal, Äpfelchen, ohne die unzähligen, unentgeltlich über deine Streamingdienste verfügbaren Podcasts hättest du diesbezüglich
nichts zu bieten. Oder zumindest
fast nichts.
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"Hey, Prinz Pi, was machst du denn hier auf Platz Eins der Film & TV Podcast Charts bei iTunes?" Screenshot: iOS Podcast App |
Eigene Inhalte, oder auch
Original Content, hat Apple nämlich abseits werblicher Interviewformate für Musiker
oder Filme nicht in seiner prall gefüllten Medienbibliothek. Insofern kann der Medientitan nicht genug davon bekommen. Erst kürzlich gingen eigens für bereits auf Sendung befindliche und angehende Podcaster geschaffene
Support- und
Administrationsbereiche bei iTunes online.
Aber Apple spricht mit gespaltener Zunge, wenn es unabhängige Podcaster dazu ermutigt, ihre Inhalte bei iTunes zu publizieren.
"Du kannst das auch!" Na klar. Aber bereite dich darauf vor, auch online auf gute, alte Bekannte aus dem analogen Rundfunk zu treffen und in deren Schatten zu stehen.
Vergleichbare Phänomene wie das folgende mag es auch in anderen
'Featured Categories' innerhalb der Apple-Streamingdienste geben. Und ich war vorgewarnt. Hatte ich doch bereits selbst beobachtet
und anderswo gelesen, dass über die Hälfte der populärsten Podcastformate bei iTunes Ableger öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme sind. Doch es war schlimmer als befürchtet.
Im Einzelnen sind die zehn (im oben zitierten Tweet fälschlicherweise: elf) unter
Film Fanatics aufgeführten, Gebühren-finanzierten Podcasts
Eine Stunde Film (DeutschlandRadio),
WDR2 Kino (WDR2),
Die Kinofilme der Woche (HR3),
Kino Kompakt (BR3),
Kino im Kopf (SRF),
Kino-Tipp (HR3),
Kinotipp (HR1),
MDR Info Kinotipps (MDR),
Kino Kino (BR) und
NDR Kultur Filmtipps (NDR), sowie die Sendung
kino 1 des Schweizer Privatsenders tele 1. Podcasts ohne die Wörter 'Kino', 'Tipp' und 'Film' in beliebiger Kombination müssen leider draußen bleiben.
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Seriously?
Screenshot: Apple iTunes Featured Category 'Film Fanatics' |
Ich fühle mich erinnert an die Zeit, als ich 2005 von der Welt der Onlineforen in die sogenannte Blogosphäre wechselte, um mich dort zu dem Thema zu äußern, für das mein Herz seit jeher brannte: das Kino. Als mein Co-Host
Daniel Gramsch und ich 2012 mit dem Podcasten begannen, wussten wir zwar beide noch nicht um den korrekten Genus des Wortes [m. der] Podcast, wohl aber, dass dieses
Online-Radio, wie wir es gerne unseren Babyboomer-Eltern erklärten, vor allem in den USA ein Riesending war. Innerhalb meines überwiegend deutschstämmigen Bekanntenkreises erkläre ich Menschen bis zum heutigen Tag, dass Podcasts mehr sind als archivierte Episoden von
Sanft & Sorgfältig,
Domian und dem
Radio-Tatort.
Und man verstehe mich nicht falsch. Mit Jürgen Domian lässt sich sicherlich toll plaudern. Die
Kinosendung beim öffentlich-rechtlichen radioeins läuft bei uns fast jeden Samstag im Radio auf dem Fensterbrett. Und ich zahle brav meine Rundfunkbeiträge, damit meine Eltern ihren Sonntagskrimi im Ersten und ich irgendwas über queere Street Art in Antwerpen bei arte sehen kann. No shit! Aber es gibt
so viel mehr. Und Podcasts, insbesondere zum Thema Kino und Medienkultur, können
so viel mehr. Sie sind aufbrausend, ungeschliffen, infantil, hingerissen, vernichtend, wirr, kontrovers, bedächtig, manchmal richtig dumm und oftmals sehr, sehr schlau. Sie können fünf Minuten oder fünf Stunden lang sein. Sie sind mehr als akustische Konserven mit Filmtipps, die am Tag zuvor im Radio oder nachts im Dritten Programm liefen. Genau wie einst Newsgroups, Onlineforen und nun Blogs und soziale Netzwerke ermöglichen Podcasts die nur durch ein Mikrofon gefilterte Meinungsäußerung und -austausch jenseits der von regulatorischen Behörden und Investoren beeinflussten TV- und Hörfunkformate. Podcasts versorgen sträflich vernachlässigte Zielgruppen mit akustischem Futter, im mir vertrauten Umfeld beispielsweise Liebhaber des
japanischen Kinos, Freunde
vergessener oder
sehr, sehr alter Filme und
masochistisch veranlagte Adam Sandler-Fans. In jedem Fall, auch jenseits des Themas Kino, bieten Podcasts inhaltliche Tiefen und Untiefen zu tausenden Nischeninteressen, die in Formaten wie
Kino Kompakt oder
Filmtipps der Woche keinen Platz finden. Und ist nicht diese publizistische Freiheit und die daraus in den letzten zehn Jahren erwachsene Vielfalt etwas, das es zu fördern gilt?
Es ist enttäuschend, dass Apple Deutschland nicht versteht, was Podcasts besonders macht. Dass
Hörtipps nach der Maßgabe größtmöglicher Beliebig- und Belanglosigkeit ausgewählt werden. Dass erstaunliche Trends im Podcast-Kosmos weiterhin nur in Übersee stattfinden, wo Podcaster plötzlich
große Regierungschefs zu Gast haben, für zig Millionen Menschen ein wöchentlicher Podcast
nervenzerrender ist als jeder Krimi, oder aus einer guten, kompakten Idee ein kleines
Popkultur-Imperium wird. Das Internet eignet sich hervorragend zum Träumen. Und dazu, um Träume wahr werden zu lassen. Selbst das andere große
Evil Empire hat dies erkannt und fördert bewusst seine unzähligen Videosternchen, die YouTube zu dem werden ließen, was es heute ist.
Erinnert sich irgendwer bei Apple noch an seinen - zweifelsohne verlogenen, aber schlauen -
Mac-Werbespot aus den 90ern mit dem Slogan "think different"? An die darin zelebrierten 'Misfits' und 'Troublemakers'? Sie scheinen Apple egal zu sein. Zumindest in Deutschland.
P.S.: Ich danke einem namentlich nicht genannten Pharmariesen für sein tolles Produkt, ohne dessen fiebersenkende und schmerzlindernde Wirkung ich diesen Beitrag nicht hätte beenden können. Für etwaige orthographische und kausale Fehler in diesem Text schiebe ich die Verantwortung meiner akuten Erkältung zu.